Hilfslieferung 1992 nach Krasnodar statt Gatschina

Die Geschichte eines Transportmarathons nach Gatschina

Gruß aus Schilda: „Russe bleibt Russe oder das gute Werk“

Ettlinger Hilfsgüter landeten ohne Eigentümer zu fragen in Karlsruher „Partnerstadt“ Krasnodar

Das Leben erzählt ab und zu schon mal Ge­schichten keiner weiß so recht, ist Lachen, Weinen oder Arger angebracht. Manchmal steigt vor lauter Wut das Blut so richtig in die Schlafen und der Pulsschlag senkrecht nach oben. So muss es einem gewissen, weit über die Grenzen Ettlingens hinaus bekannten Ma­rathonläufer namens Albert Olbrechts gegan­gen sein. Vor einigen Monaten organisierte er in Ettlingens neue Partnerstadt Gatschina ei­nen 2 500 Kilometer langen Stafettenlauf.

Da die Sportler aus dem Albgau nicht mit leeren Händen bei ihren von einer schlechten Versorgungslage geplagten russischen Gastge­bern ankommen wollten, rührten sie gleich noch kräftig die Werbetrommel – so nach dem Motto „Ein Herz für Gatschina“ – für huma­nitäre Spenden. Die Gelder und Hilfsgüter flossen reichlich. Vage erhielten die Laufer vom Technischen Hilfswerk eine Transportzu­sage. Doch irgendwann kam vom THW die schlechte Nachricht, es läuft kein Lkw zum gewünschten Zeitpunkt nach Gatschina.

Die fieberhafte Suche nach einer Alternati­ve begann. Da erinnerte man sich daran, daß Staatsminister Vetter der Ettlinger Friedensbrücke „Rumänienhilfe“ einen Lastwagen aus den Beständen der ehemaligen DDR-Armee für die Hilfstransporte nach Südosteuropa versprochen hatte Konnten die nicht ihren Lkw einmal für den Transport leihen? „Gar kein Problem!“, war aus dem Mund manches in der Rumänienhilfe engagierten Bruchhauseners zu hören, höchstens eine Zeitfrage. Bei Olbrechts und seinen Mannen hellten sich die Mienen wieder etwas auf.

Die Zeit verrann, bald war klar, es würde mit der Zeitgleichheit von Transport und Stafettenlauf nicht mehr klappen; spätestens als die Offiziellen der „Rumänienhilfe“ in Holz­dorf. einem verschlafenen Nest in der Ex- DDR, erschienen, um den Lkw abzuholen, war beim ersten Anblick alles aus: Der russi­sche Lkw der Marke „Krac“ war vielleicht zu Fahrten in der weiten Steppe von Taiga und Tundra geeignet, aber kaum um im Stadtteil Bruchhausen bei einer Haussammlung um die Ecke zu fahren. Statt eines straßentauglichen Lastwagens hatte man ein panzerähnliches Lkw-Monster erhalten, das sich noch dadurch auszeichnete, „wie ein Drache sein Feuer’ auf 100 Kilometer mindestens 70 Liter Diesel zu schlucken. Das Geschenk der Bundeswehr er­wies sich als „Danaer-Geschenk und wurde gleich an Ort und Stelle stehengelassen.

Die Stafetten Läufer waren mittlerweile auch ohne Hilfsgüter von den russischen Freunden auf das Herzlichste empfangen worden. Kaum aus Russland zurückgekehrt, ließ Albert Ol­brechts die noch unerledigte Transportgeschichte nicht ruhen, um endlich sein Ver­sprechen gegenüber den Spendern einzulösen. Dringlich erwies sich die Angelegenheit, weil unter den in der neuen Halle des Bauhofs zwischengelagerten Gütern sich Lebensmittel mit einem Verfallsdatum befanden. Schließ­lich hatte Olbrechts doch scheinbar Glück. Er fand für einen kleineren Teil – nämlich die verderblichen Lebensmittel – einen Lastwa­gen des Deutschen Roten Kreuzes, der diese Ware nach dem Grundsatz „Wenn schon nicht nach Russland, dann für die hungernde Bevöl­kerung in Sarajevo“ nach Bosnien-Herzego­wina bringen sollte.

Immerhin hatte ein Ettlinger Unternehmen, das die Lebensmittel gesponsert hatte, signa­lisiert, wenn der größere Restteil der Ware auf dem Transportweg nach Gatschina gehe, wieder im Gegenzug die nach dem ehemaligen Jugoslawien gegangenen Waren zu ersetzen.

Beschwingt kam am Dienstag dieser Woche Marathonläufer Olbrechts als Verfügungsbe­rechtigter über die Waren zur Halle des städ­tischen Bauhofs, um die Paletten mit den Ver­fallsdaten auf den DRK-Lkw zu laden. Wie vom Donner gerührt stand der 78jährige Ak­tivist da: Er schaute in die Röhre. Die ganze Ware im Wert von über 40 000 Mark war weg. Der Schuppen leer.

War die Ware etwa geklaut, um wieder auf irgendeinem Markt gegen bares Geld verkauft zu werden. Mitnichten! Die Antwort erinnert eher an die Bürger von Schilda, oder wenn man es gut meint mit den Akteuren, an den Satz: „Gleich wo die Spende hinkommt, Hauptsache sie kommt bei Bedürftigen an.“

Da arbeitet in der städtischen Bauverwal­tung schon seit vielen Jahren Georg Vogt, der in einer deutsch-russischen Partnerschaft, nämlich zwischen Karlsruhe und Krasnodar, ausgesprochen aktiv ist. Dieser bekam so im Vorübergehen, bei einem Gespräch zwischen dem Leiter der Bauverwaltung. Welker, und Olbrechts die Probleme der Stafettenläufer mit. Und blitzschnell kam ihm eine Idee: In Karlsruhe fehlte es nicht an Transportfahr­zeugen nach Krasnodar, sondern an Ware. Wie wäre es. wenn man die Ettlinger Hilfsgü­ter für Gatschina nach Krasnodar brachte? „Allemal ein gutes Werk. Und Russe bleibt Russe?‘

Wie so oft bei Gesprächen, die man zwi­schen Tür und Angel „gelauscht“ hat. gibt es Halbwahrheiten, die zu kleinen Missverständnissen mit großen Wirkungen fuhren können: Vogt ging irrigerweise davon aus, dass – wenn es sich schon um Hilfslieferungen für eine russische Stadt handelt nur die deutsch- russische Gesellschaft in Ettlingen Besitzer dieser Ware sein könne. Schnell gedacht, zum Telefonhörer gegriffen und schon war Eugen Faas, stellvertretender Vorsitzender dieses Vereins, am Apparat. Den fragte Vogt, ob es nicht sinnvoll wäre, die Lebensmittel nach Krasnodar zu transportieren. Und Faas gab nach Rückfrage mit einem weiteren Vor­standsmitglied der deutsch-russischen Gesell­schaft wohl auch in dem guten Glauben, die Ware gehöre seinem Verein – für den Ab­transport der gesamten Hilfsgüter nach Kras­nodar „grünes Licht“.

Ein Fall von Kompetenzüberschreitung, was auch die Reaktion von Faas Tage später belegt „Oh Gott im Himmel, ich war gar nicht informiert, dass die Güter den Stafettenläufem gehören.“ Zumindest eines wusste Faas: „Der Transport ist bereits nach Krasno­dar abgegangen.“ Da half es Albert Olbrechts auch nicht mehr viel, dass er mit dem DRK- Lkw zum IWKA-Gelände nach Karlsruhe, wo die Güter für Krasnodar gelagert sind, fuhr. Ein Teil der Ware war weg: „So schlecht wie heute habe ich mich selbst nach meinem schwersten Marathon nicht gefühlt.“

Denkt er doch an die Spendenfreudigkeit der Ettlinger, die sich jetzt selbst bei einer von Einheimischen „angeleierten“ Hilfsaktion hintere Licht geführt glauben konnten. Nun, denen kann man einfach sagen: „Ein Russe ist uns so lieb wie der andere Hauptsache, die Güter erhalten Bedürftige, ob dies nun in Krasnodar oder Gatschina ist.“ Und falls sich Albert Olbrechts den Spendern im Wort fühlt, gäbe es vielleicht auch eine andere Lösung: Er konnte ja den beiden „voreiligen Hilfstransporteuren” Georg Vogt und Eugen Faas über die abgeholte Hilfsgütermenge eine Rechnung schicken und damit endgültig den schon lange in Gatschina erwarteten Trans­port noch in die Wege leiten. „Russe bleibt Russe.“ Und so wäre ein doppelt gutes Werk getan …            Johannes-Christoph Weis

Nach oben scrollen