Dorothee Le Maire, Klaus-Peter Hoepke, Gerold Niemetz und Heinrich Borger
Fremdarbeiter in Ettlingen zwischen
1939 und 1945
Einführung
Vor einigen Monaten erreichte die deutsche Öffentlichkeit eine kaum mehr bedachte Erblast, die das
„Dritte Reich“ hinterließ: Es ging um Entschädigungszahlungen an Ausländer, die während des Zweiten
Weltkriegs zwangsweise zum „Reichseinsatz“ in die deutsche Kriegswirtschaft deportiert worden
waren. So erfuhren die im Nachkriegsdeutschland Geborenen vielleicht erstmals, jedenfalls aber in
groben Umrissen etwas über ein weiteres unerfreuliches Kapitel der nationalsozialistischen
Machthybris. Selbst Zeitgenossen, die die Kriegsjahre in der Heimat noch bewusst miterlebt hatten,
waren überrascht, als sie von dem gewaltigen Ausmaß erfuhren, das die Verwendung nicht-deutscher
Arbeitskräfte in den Jahren 1939 bis 1945 angenommen hatte.
Dabei machten die Zwangsarbeiter nur einen Teil der im „Reichseinsatz“ befindlichen ausländischen
Zivilisten aus. Hinzu kamen noch 10-20 % derjenigen Ausländer, die auf formal freiwilliger Basis nach
Deutschland kamen, und Kriegsgefangene. Alle drei Gruppen zusammen bildeten das Heer, das mit
dem Begriff „Fremdarbeiter“ bezeichnet wurde. Quantitativ handelte es sich nach groben Schätzungen
um mehr als 13 Millionen Männer, Frauen und selbst Jugendliche, die für längere oder kürzere Zeit im
Kriegsdeutschland arbeiteten. Der „Reichseinsatz“ erstreckte sich denn auch auf alle Bereiche der
Wirtschaft – auf die Industrie, das Handwerk und den Handel, auf den Dienstleistungssektor sowie auf
die Land- und Forstwirtschaft. Noch im kleinsten Dorf waren damals Fremdarbeiter anzutreffen. Anders
ausgedrückt: Ohne die zahlreichen Zugriffsmöglichkeiten, die Deutschland auf das „Menschenmaterial“
zwischen Wolga und Atlantik besaß und rigoros nutzte, wäre die deutsche Kriegswirtschaft und damit
die deutsche Kriegsführung um 1942 unweigerlich am Ende gewesen.
Die Lebensbedingungen der Fremdarbeiter waren höchst unterschiedlich: Die Angehörigen
verbündeter Staaten (also etwa Ungarn oder – bis Herbst 1943 – Italiener) trafen es im Allgemeinen
noch am besten. Ebenso und getreu dem nationalsozialistischen Rassismus die Freiwilligen aus den
„germanischen“ Teilen des besetzten Europas, z.B. Holländer oder Flamen. Sie alle genossen etwa
dieselben Rechte wie ihre deutschen Arbeitskollegen. Annähernd galt das auch für freiwillige
französische Zivilarbeiter. Der nachlassende Zustrom von Freiwilligen führte indes dazu, dass die
deutsche Besatzungsmacht 1941/1942 in den westeuropäischen Staaten zu Zwangsaushebungen
überging, mit entsprechend nachteiligen Auswirkungen auf den Rechtsstatus dieser Kategorien. Den
Gefangenen der westlichen Kriegsgegner wiederum überwiegend Franzosen, aber auch Engländer
und Soldaten aus den Commonwealth-Staaten und US Amerikaner wurde in gewissem Umfang
Rechtsschutz aus der Haager Landkriegsordnung und materielle Fürsorge durch das internationale
Rote Kreuz zuteil.
Im krassen Unterschied dazu bekamen die Menschen Mittelost- und Osteuropas von vornherein ihre
rassenideologisch begründete Abwertung, ja Entwertung zu spüren. Ihre Entrechtung kannte kaum
Grenzen, wofür allein schon die hohen Todesraten sprechen. Dasselbe traf übrigens auch auf die
deutschen Zwangsarbeiter (KZ-ler, insbesondere jüdische Deutsche) sowie, seit Herbst 1943, auf die
italienischen Zivilisten und „Kriegsgefangenen“ zu. Am übelsten erging es den sowjetischen
Kriegsgefangenen – als sogenannte „Untermenschen“ wurden sie bedenkenlos dem Verschleiß
überantwortet.3
Die Behandlung bzw. der Umgang mit Fremdarbeitern sollte ein unaufhörlicher Strom von Gesetzen
(selbstredend auch von drakonischen Strafgesetzen), Erlassen, Verwaltungsrichtlinien u.ä. regeln. Das
einzige durchgehend gleichbleibende Element in diesem Verordnungswust bildete eine stetige
Enthumanisierung, die allein mit sicherheitspolizeilicher Vorbeugung schlechterdings nicht zu erklären
ist. Im Übrigen gründete das Ganze auf einem unüberbrückbaren Widerspruch: Einerseits sollte das
ständig knapper werdende Potential ausländischer Arbeitskräfte halbwegs pfleglich behandelt werden.
Andererseits sollte um des deutschen „Endsiegs“ willen das Wohl der Fremdarbeiter die geringste Rolle
spielen. Wir dürfen nicht übersehen, dass gerade die Unvereinbarkeit dieser beiden Richtmarken der
deutschen Bevölkerung durchaus erhebliche Verhaltensspielräume eröffnete – im Guten wie im Bösen:
Wie ein Fremdarbeiter behandelt wurde, das hing zwar nicht ausschließlich, aber in spürbarem Maße
von jedem einzelnen Deutschen ab.
Das Bild, das wir derzeit von den einschlägigen Ettlinger Verhältnissen erarbeiten konnten, gehört in
den oben skizzierten Rahmen. Jedoch ergibt unser vorläufiger Befund weder einen repräsentativen
Ausschnitt noch ein stark verkleinertes Abbild des „Reichseinsatzes von Fremdarbeitern in der
deutschen Kriegswirtschaft. Der „Reichseinsatz“ war ein vielschichtiger und kontrastreicher Vorgang,
und der Ettlinger Fall stellt nur ein Beispiel neben unzähligen, jedoch abweichenden
ortsgeschichtlichen Beispielen dar. Gleichwohl gestattet uns auch das unscheinbare Ettlinger
Beispiel, einen ersten Blick auf dessen deutsche Zusammenhänge und Hintergründe zu werfen
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