Praktikumsbericht
vorgelegt von Eugen Reimer (mailto:eugen.reimer@uni-oldenburg.de)
Themenschwerpunkt: Strukturen der Sozialorganisationen in Gatschina (Russland)
Das Praktikum wurde absolviert im Zeitraum vom 18.02.2006 bis zum 15.04.2006 (8 Wochen) bei
- „Spezielles Schul- Internat in Siverskij“
Staatliche ausbildende Stiftung des Gebietes Leningrad
Krasnaja Strasse 30, 188330, Dorf Siverskij, Tel./ Fax: 8(813-71)92-955, Tel.: 8(813-71)92-183, E-Mail: sonderschule@lsi.ru
- „Zentrum der sozialen Dienste an Menschen”, Kommunale Institution der Gemeinde Gatschina,
Strasse: 25 Oktober, Hausnummer: 23, 188300 Gatschina, Tel./ Fax: (813)71 2-23-49
Inhaltsverzeichnis
Vorstellung der Tätigkeitsbereiche
- „Spezielles Schul- Internat in Siverskij“
- „Zentrum der sozialen Dienste an Menschen”
Vorstellung der eigenen Tätigkeiten
1a) Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen
1b) Ablauf meines typischen Arbeitstages
1c) Betriebsklima und Umgangsformen der Arbeitskollegen untereinander
2a) Der Besuch bei den alten Damen 2а) Посещение пожилых дам
2b) Ablauf eines typischen Arbeitstages 2b) Расписание типичного рабочего дня
Zusammenfassende Beurteilung Подведение итогов
Vorstellungen und Erwartungen
In meinem Studium (Politikwissenschaft und Philosophie) liegen meine Interessensschwerpunkte in dem Bereich Soziologie und Kulturphilosophie oder auch. Ethik. Dies resultiert sicherlich aus meiner bisherigen Lebenserfahrung, denn ich bin in zwei verschiedenen Kulturen (Russland und Deutschland) mit verschiedenen sozialen und materiellen Verhältnissen aufgewachsen. Seit meinem Zivildienst arbeite ich neben dem Studium im sozialen Bereich (Selam- Lebenshilfe) als Assistent und Pfleger.
Aufgrund meiner erwähnten Lebensgeschichte ist es genügend begründet, wie mein persönliches Interesse mit dem Land Russland zusammenhängt.
Durch meine Arbeit bei der Selam- Lebenshilfe interessiert mich der aktuelle Stand im medizinisch- therapeutischen und sozialpädagogischen Bereich Russlands.
Der Wunsch, zwei völlig unterschiedliche politisch- soziale Strukturen und ihre wechselseitigen Auswirkungen auf die jeweils andere Kultur zu vergleichen, wurde außer meinem persönlichen Interesse durch meine Fächerwahl noch gestärkt und gefördert. Des Weiteren kann ich mir vorstellen beruflich zwischen Deutschland und Russland auf dem politisch- sozialen Gebiet tätig zu sein. Am besten kann man die sozialen Verhältnisse eines Landes auf der Grundbasis der betroffenen Menschen selbst begreifen. Darüber hinaus kann ein Auslandsaufenthalt die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und Selbstständigkeit fördern, sowie die vorhandenen Sprachkenntnisse verbessern.
Mein Praktikum habe ich in zwei Teilpraktika gegliedert, um einen Einblick in verschiedene Berufsfelder der sozialen Struktur zu bekommen und um mir ein breiteres Spektrum von Handlungskompetenzen anzueignen.
Den ersten Teil absolvierte ich in einer Art „Sonderschule“ mit Kindern und Jugendlichen. Im zweiten Teil kümmerte ich mich um Rentner und Invaliden. In beiden Praktikumsteilen hatte ich die Möglichkeit, verschiedene Arbeitsbereiche der jeweiligen Einrichtungen kennen zu lernen, mir Praxiswissen anzueignen, mein eigenes Wissen und Können zu erproben, sowie zu erweitern und Menschen aus verschiedenen Generationen mit unterschiedlichsten Weltsichten kennen zu lernen und zu befragen.
Suche und Bewerbung
Nachdem ich eine Idee von der Gestaltung meines Praktikums hatte, musste ich mir eine passende Stelle- selbstständige Arbeit im sozialen Bereich auf zwei unterschiedlichen Gebieten in Russland für einen Zeitraum von zwei Monaten – suchen.
Als erstes ist es immer empfehlenswert sich in der gegebenen Umgebung, also z.B. an der Universität, umzuschauen und die Möglichkeiten eines Auslandsaufenthalts in Anspruch zu nehmen. Dies wären bestimmte Service- und Beratungsstellen wie das Akademisches Auslandsamt (AAA) oder International Student Office (ISO). Wenn sich nicht dadurch, wie es bei mir der Fall war, eine Möglichkeit eröffnet, wird man zumindest an andere Organisationen verwiesen oder man bekommt einen Überblick, wie das Formelle zu organisieren ist. Innerhalb Europas sind die Möglichkeiten eines Auslandsaufenthaltes natürlich aufgrund der wirtschaftlichen und geographischen Lage viel zahlreicher als außerhalb. Doch auch da sind viele Stiftungen und gemeinnützliche Organisationen im Internet zu finden. Ich wurde schnell fündig und hatte nach einer groben Auswahl etwa 150 verschiedene Adressen, die ungefähr meinen Erwartungen entsprachen, vor mir liegen. Zu jeder dieser Adressen habe ich eine persönliche E-Mail, mit meinem Lebenslauf, dem gewünschten Zeitpunkt, dem gewünschten Ort, der gewünschten Tätigkeit und meiner Bitte geschickt. Nach etwa einem Monat sammelte ich meine Antworten: Es waren insgesamt nur noch an die 80 übrig geblieben. Eine gründliche Analyse der nun vorliegenden Antworten reduzierte die Organisationen auf 50 akzeptable Möglichkeiten. Ich verfasste nun eine neue E-Mail, in der die Fragestellungen in Bezug auf Russland konkreter waren und in der ich um eine Geldunterstützung aufgrund meiner finanziellen Lage bat. Ich bekam etwa 15 Bestätigungen zurück, jedoch mit verschiedensten Erwartungen seitens der Organisationen an mich. Man sollte darauf achten, sich nicht mit zu vieler Arbeit für die vermittelnden Organisationen zu belasten, deshalb waren es nach einer gründlichen Überlegung nur noch sieben. Ein Auslandsaufenthalt beansprucht einen sehr, wenn dann noch an die Organisation wöchentlich ein umfangreicher Bericht der Tätigkeiten in einem Rahmen von 10 Seiten erfolgen soll, kann man sich nicht mehr auf das Land und die Menschen zu konzentrieren. So hätte ich von manchen Organisationen sogar die Möglichkeit gehabt Lohn für meine Tätigkeit zu beziehen, doch die Ansprüche wären so groß geworden, dass ich keine Zeit für eigene Erforschungen und Entspannungsphasen gehabt hätte. Stattdessen galt mein Interesse eher ehrenamtlichen Organisationen wie den Deutsch- Russischen- Gesellschaften (DRG). Diese sahen zwar keinen Lohn für mich vor, doch arbeiteten sie oft an der Basis der Gesellschaft, d.h. mit armen Bevölkerungsschichten und versuchten mir zumindest in bestimmten Bereichen, wie der Wohnung oder dem Flug finanziell entgegenzukommen. Nachdem die einzelnen Vorschläge zu meiner Unterstützung eingegangen waren, blieben wiederum nur noch drei übrig. Mit diesen Letzten drei Organisationen hatte ich über ein halbes Jahr regen schriftlichen Kontakt, mit der Zeit bekam ich immer mehr einen Überblick über ihre Tätigkeiten. Ich wusste nun, in welche Betriebe ich in Russland gehen könnte, was meine Tätigkeiten sein würden, welche Erwartungen die Betriebe an mich hätten und damit auch was mich insgesamt erwarten würde. Mit manchen Betrieben habe ich persönlich telefoniert und mich selbstständig bei meinen Betreuungspersonen erkundigt. Zum Schluss entschied ich mich für die Deutsch- Russische- Gesellschaft in Ettlingen, denn diese schien mir familiärer als die übrigen zu sein, bot mir die Möglichkeit einer unbezahlten Wohnung und Essens, zwei verschiedene Bereiche der sozialen Tätigkeit, zudem hatte ich inzwischen ein gutes Verständnis mit dem Vorsitzenden, Herrn Gerhard Laier, ereicht. Nun musste ich noch einen Professor finden, der mich in diesem Bereich bei meinem Praktikum unterstützten würde (Antonius Holtmann) und musste es danach bei der Universität bestätigen lassen. Nachdem auch das Akademische geklärt war, kümmerte ich mich um eine günstige Anreisemöglichkeit, um die notwendigen Impfungen und das Visum. Diese Informationen bekommt man entweder durch das Reisebüro und durch das Internet auf der Seite des russischen Auslandsamts.
Vorstellung der Tätigkeitsbereiche
- „Spezielles Schul- Internat in Siverskij“
Mein erster Praktikumbereich, genauso wie meine Unterkunft, befand sich in einem „Speziellen Schul- Internat“ in Siverskij. Diese Schule kümmert sich um die Lehre von Kindern im Alter von sechs bis achtzehn Jahren mit Problemen der geistigen Entwicklung.
Sankt Petersburg hat 21 Bezirke, in denen es insgesamt 29 derartiger Schulen gibt. In meinem Bezirk, welcher etwa die Größe von Niedersachsen hat, gab es nur eine einzige Schule dieser Art. Meist werden die Kinder schon im Kindergarten einer allgemeinen Prüfung unterzogen und auffälliges Verhalten oder geistige Defizite werden notiert. Diese Kinder werden an ein besonderes Gremium weitergeleitet und es werden mehrere Untersuchungen vorgenommen. Dann erst werden sie nach einem Urteil des Psychologischen- Medizinischen- Pädagogischen- Komitees (PMPK) an diese Schule verwiesen. Die Kinder werden mit Hilfe eines speziellen Programms, auf das ich später näher eingehen werde, unterrichtet. Die Schule ist für 80 Plätze ausgelegt, aber es werden an ihr tatsächlich 122 Kinder geschult. Von diesen sind 26% Waisenkinder, 42% sind von allein erziehenden Personen und 32% sind aus schwierigen Familienverhältnissen (oft Missbrauch von Kindern und Geldnot). An der Schule sind 27 Fachkräfte (19 Lehrer; 8 Erzieher) und 18 Beschäftigte vom Dienstpersonal bzw. Versorgungspersonal tätig. Von den ganzen Angestellten sind insgesamt drei männlich. Diese übernehmen dazu „typisch männliche“ Berufe (Elektriker, Fahrer, Musiklehrer). Die Schule ist auch medizinisch ausgerichtet, sie weist therapeutische, zahnärztliche und physiotherapeutische Räumlichkeiten auf, da die meisten Eltern ihren Kindern keine medizinische Untersuchung bieten können. Des Weiteren bietet die Schule den normalen Schulunterricht an, außerdem auch handwerkliche und hauswirtschaftliche Tätigkeiten wie Nähen, Flechten, Gärtnern und Kochen. Darüber hinaus hat ein Teil der Kinder die Möglichkeit, im Internat zu übernachten.
- „Zentrum der sozialen Dienste an Menschen”
Der zweite Bereich befand sich nicht in der Siedlung Siverskij, sondern in der 30 km entfernten Stadt Gatschina. In dem „Zentrum der sozialen Dienste an Menschen“ bestehen die wichtigsten Aufgaben in der sozialen Versorgung von einsamen, älteren und körperlich behinderten Menschen.
Das Sozialamt ist in Russland auf der Landesebene in drei große Verwaltungsebenen eingeteilt: Die Verwaltung für Finanzen, der Sozialdienst und die Medizin. Der Sozialdienst selbst ist in weitere drei Bereiche eingeteilt: „Sofort Dienst“, „Hausdienst“ und „Heimdienst“. Der „Sofort Dienst“ tritt in akuten Notsituationen in Kraft, das heißt wenn ein Brand alles zerstört hat, wenn die Lebensfunktionen bei älteren Menschen ausfallen und wenn ein älterer Mensch vereinsamt, das heißt keine weiteren Verwandten hat, die sich um ihn kümmern können. Was man für diese Menschen tun kann, entscheidet wiederum ein bestimmtes Gremium- Komitee für „Sozialen Schutz der Bevölkerung“ (KSSB)- des Staates. Nachdem also der „Sofort Dienst“ informiert wurde, werden die Finanzen der Person geprüft. Derjenige, der weniger besitzt, als es der staatlich ermittelte Lebensdurchschnitt vorsieht- dies hängt auch von dem Besitz im Ganzen ab, also auch Land und Erbe- bekommt einen bestimmten Prozentsatz ausgezahlt. Wenn die Person kein eigenes Haus oder Unterkunftsmöglichkeit bei Verwandten hat, muss sie in ein Heim. Dies ist jedoch ein sehr zeitraubendes, wenn nicht gar ein unmögliches Unterfangen, da es viel zu viele Bewerber auf kaum vorhandene Plätze gibt. Ansonsten werden ältere Personen in ihrer Unterkunft betreut. Dafür müssen sie ein Formular mit ihrem Namen, der Registrierung, dem Wohnsitz, dem Einkommen und der Art der Beeinträchtigung ausfüllen, um die Sozialhilfe durch das besagte Komitee genehmigt zubekommen. Als Hauptziel der häuslich-sozialen Hilfe gilt die Unterstützung des Lebens von älteren Menschen – meist Rentnern- und Invaliden in ihrer gewohnten sozialen Struktur mit den Schwerpunkten die wichtigsten Lebensfunktionen, ihren sozialen Lebensstatus sowie ihre gesetzlichen Papiere und ihre persönlichen Interessen zu erhalten bzw. zu schützen. Generell kann man hier keine Vollzeit- sondern nur Teilzeitbeschäftigung vorfinden. Laut dem Gesetz arbeitet ein Sozialarbeiter nur acht Stunden am Tag, wobei er tatsächlich aber Überstunden machen muss, um den Ansprüchen der Arbeit zu genügen. Er muss- eigentlich muss hier „sie“ stehen, denn diese Tätigkeit wird von keinem einzigen Mann ausgeführt- vier ältere Personen am Tag besuchen, ihnen helfen und eine Liste seiner Tätigkeiten ausführen. Wenn man nur im Rahmen der staatlich vorgesehenen Zeit arbeiten würde, blieben einer Sozialarbeiterin nur etwa 20 Minuten für eine Person zur Verpflegung übrig. Dabei verdient eine Sozialarbeiterin sehr wenig Geld: Ohne Ausbildung etwa 3700 Rubel (115 Euro), mit Ausbildung 4500 Rubel (140 Euro). Alle Mitarbeiter müssen einen Erste- Hilfe- Kurs absolviert haben, ansonsten sind keine Qualifikationen bei der Bewerbung nötig. Zusätzlich finden in dem Betrieb Fortbildungsseminare- meistens von eigenen erfahrenen Mitarbeitern- statt; diese Seminare werden aber vom Staat nicht als offizielle Fortbildungen angesehen. In der ganzen Stadt werden 250 Menschen betreut, zusätzlich befinden sich noch 110 in so genannten Veteran- bzw. Seniorenhäusern und 400 zusätzlich in der gesamten Region.
Diese Hilfe kommt jedoch nur bei geistig „normalen“ Menschen zum Tragen. Wenn eine ältere Person nicht mehr in der Lage ist durch „geistige Stabilität“ selbstständig zu unterschreiben, kann ein Angehöriger oder ein Psychologe durch einen Beschluss des Sozialgerichtes, dieses für die Person tätigen. Dies gelingt jedoch meistens nicht, da der Staat dieses Verfahren besonders mit Hilfe der Psychologen und Anwälten ad acta legen kann. Für geistige Krankheiten oder behinderte Menschen gibt es in Russland kaum eine soziale Struktur. Meistens werden solche Menschen- egal welche Behinderung sie haben- entweder notdürftig zu Hause gepflegt oder wenn dies nicht möglich ist, werden sie in einem riesigem Gebäude gesammelt und von der Außenwelt ausgeschlossen. Die Gebäude sind meistens veraltete Gefängnisse, in denen die Menschen von Psychologen, Medizinern und „Wächtern“ „gehalten“ werden. In Russland gibt es seit etwa 10 Jahren den Sozialdienst, es ist also praktisch noch ganz am Anfang seiner Entwicklung. Doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Einzug des Kapitalismus gibt es auf diesem Gebiet langsam immer mehr Bewegung, wobei Europa als Vergleichsbasis dient.
Vorstellung der eigenen Tätigkeiten
1a) Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen
Die Schüler dieser Schule sind- wie bereits am Anfang erwähnt- Kinder aus sozial- gestörten Verhältnissen. Was dies jedoch im Einzelnen bedeutet, werde ich nun zuerst- da es für die Ausübung meines Praktikums von enormer Wichtigkeit ist- ausführlicher beschreiben.
Diese Schüler sind in einfachen Alltagshandlungen nie richtig erzogen worden. Ihre Eltern können keine stabile Vorbildfunktion erfüllen, da sie meistens selbst in gestörten familiären Verhältnissen aufgewachsen sind. Viele Eltern haben Probleme mit Drogen, Gewalt, sie verkaufen ihren Körper und/oder haben einfach kein Geld für das Nötigste. Die Kinder solcher Missstände wissen deswegen oft nichts von Hygiene, respektvollem Benehmen, Ordnung und Moral. Warmes Essen ist den Kindern genauso fremd, wie eine saubere, lochfreie Jacke. Dieses Defizit geben sie an ihre Kinder weiter, wodurch auf der Generationsebene ein Teufelskreis entstehen würde wenn man sich nicht ihrer annehmen würde.
Viele dieser Kinder eifern ihren Eltern nach und fangen schon teilweise in jungen Jahren an, verschiedene Arten von Drogen zu konsumieren; Zigaretten und Alkohol stehen dabei an erster Stelle. Da in russisch- familiären Verhältnissen Gewalt und allgemeine Akzeptanz der Hierarchie meistens als eine gerechtfertigte Form der Erziehung angesehen werden und Drogen dieses noch fördern, gibt es für die Kinder zu Hause regelmäßig Prügelstrafen. Dementsprechend gibt es unter den Kindern selbst immer Herrschaftshierarchien, die durch einen ständigen Kampf ausgetragen werden. Gespräche sind den Kindern fremd- besonders unter den Jungen- und Konflikte werden in der Regel nur durch Gewalt ausgetragen. Trotz ihres Verhaltens, sind es Kinder die sich nach Nähe und Verständnis sehnen. Alle wünschen sich eine Vertrauensperson, die sich ihre Probleme anhört, mit ihnen etwas unternimmt und sie beschäftigt. Dabei gehen sie nicht einfühlsam vor, sondern fordern es von den Lehrern oder Erziehern ein, wobei es unter den Kindern einen großen Neid und Konkurrenzkampf wegen der gewünschten Nähe gibt. Wenn sie die geforderte Zuneigung nicht bekommen, versuchen sie durch Albernheiten, bis hin zu Gewaltandrohung auf sich aufmerksam zu machen. Als Erzieher hat man dann die einzige Möglichkeit mit einer vernünftigen und beherrschten, sowie mit der nötigen Bestimmtheit dem Verhalten entgegenzuwirken, was jedoch einem selbst viel Kraft und Selbstbeherrschtheit abverlangt.
Zu den oben erwähnten geistigen und sozialen Defiziten, kommen meistens die körperlichen hinzu, die sich entweder aus dem geistigen Zustand entwickelt haben oder von Geburt an vorhanden sind. Die Kinder sind nicht nur Lernschwach, sondern auch nicht fähig sich länger als etwa 20 Minuten am Stück auf eine Sache zu konzentrieren, sind unruhig und hibbelig. Aus dieser Nervosität heraus kauen sie an Fingernägeln bis diese bluten, kratzen sich die Arme auf und hibbeln die meiste Zeit mit den Beinen. Die Schule ist aus diesen Gründen auf die Kinder eingestellt und bietet Räume mit einer Spielecke bzw. einer Entspannungszone an. Wenn die Kinder während eines Unterrichts nicht mehr aufnahmefähig sind, können sie sich dorthin zurückziehen und stören die anderen bei den Übungen nicht. Die Klassen selbst sind nicht nur nach dem Alter der Kinder organisiert, sondern vorwiegend am Leistungsniveau. Es kann durchaus sein, dass die Schüler mit einem Altersunterschied von bis zu 4 Jahren in einer Klasse lernen. Die Schule trägt das Motto und den Namen „Schule des Lebens“, da sie- wie bereits erwähnt- die sozial- familiäre Erziehung der Kinder übernehmen muss. Die Klassen sind meist mit vielen Pflanzen und Haustieren, um die sich die Schüler kümmern lernen sollen, ausgestattet. Des Weiteren müssen sie die Klassen selbst wischen, fegen und aufräumen. Im Kochunterricht lernen die Schüler nicht nur selbst warme Mahlzeiten zuzubereiten, sondern haben auch Ernährungslehre und müssen beim abspülen in der Großküche helfen. Im Nähunterricht lernen sie Wäsche zu flicken und selbst Kleidung zu nähen. Die Schüler können dort ihre zerrissene Kleidung reparieren und sich Spielzeug, wie z.B. Puppen, basteln. Oft arbeiten die verschiedenen Fächer übergreifend. So können die Kinder Kostüme erstellen, die sie dann mit dem Musikunterricht und dem Deutschunterricht kombinieren, um ein Theaterstück aufzuführen. Sie nehmen bei Schulwettbewerben und Modenschauen teil und haben so manche Preise gewonnen. Dies ist dann nicht nur eine Bestätigung für die Schüler selbst, sondern auch eine finanzielle Hilfe die sofort für bessere Nähmaschinen investiert werden kann. Somit kann die Schule, da der Staat kaum Unterstützung als den Lohn für die Lehrende übernimmt, sich selber helfen und den Schülern einen besseren Unterricht ermöglichen. Dies wird auch durch den Biologieunterricht besonders verdeutlicht. Dort wird nicht nur Pflanzenlehre gegeben, die Schüler pflanzen auch für den eigenen Verzehr an. Im Herbst und Winter sähen sie mit den Lehrern Keime in kleinen Schalen aus. Diese werden dann bis zum Frühlingsbeginn auf Fensterbänken in fast allen sonnigen Klassen hochgezogen, um sie später einpflanzen zu können, dadurch wird der Ertrag höher. Letztes Jahr haben sie für die Schule acht Tonnen Kartoffeln ernten und sich ein Jahr lang selbst ernähren können. Für das Essen der Kinder sieht der Staat nämlich auch nichts vor, auch wenn die Kinder meist aus so armen Verhältnissen kommen, dass sie in den Ferien meistens nach drei Tagen aus Hunger vor der Schule erscheinen.
Meine Aufgaben lagen darin, sich um die Kinder in Alltagssituationen zu kümmern, heißt ihnen beim Zähneputzen, Bettmachen, Sachen anziehen bis hin zum Lesen und Spiele spielen tatkräftig zu Seite stehen. Darüber hinaus habe ich ihnen soziale Benimmregeln und Menschenrechte erklärt. Die Kinder hatten mich schnell in ihr Herz geschlossen und respektierten mich als eine Erziehungsperson. Dies lag vorwiegend daran, dass ich ein Mann im sozialen Dienst war. Es ist für sie eine Besonderheit einen männlichen Lehrer vor sich zu haben, da diese Tätigkeit wie eine Frauendomäne darstellt. Schon von zu Hause aus sind sie es gewohnt von den Vätern Schläge zu bekommen, um so faszinierender war ich für sie, da ich sie alle gleich ernst nahm und mich mit ihnen vernünftig unterhielt. Viele wollten darum gleich mich als ihren Vater haben oder mich zumindest „Papa“ nennen. Diese Vertrautheit ging so weit, dass die Schüler aufhörten sich in meiner Gegenwart zu prügeln, da sie wussten dass ich nichts davon hielt und bessere Argumente hatte, warum man dies nicht tun sollte. Solche Umstände zeigten mir wie wichtig es eigentlich wäre, wenn diese Kinder männliche Vorbilder an der Schule hätten. Leider ist die russische Emanzipation nach den Anfängen der Sowjetunion zum Erliegen gekommen, da man mit dem Kommunismus und der Gleichberechtigung aller Menschen meinte, die Frauenbewegung auch gleich erledigt zu haben. Doch dies war nicht der Fall gewesen, denn die russischen Frauen hatten meistens sogar noch mehr Nachteile daraus gezogen. Nun hatte sie nicht nur den Haushalt zu versorgen, sondern mussten sich zusätzlich noch um die Feldarbeit zu kümmern. Zwar gibt es seitdem einen geringen Anteil mehr an Frauen, die „typisch männliche“ Berufe ausüben, doch entspricht dies längst nicht einer Frauenbewegung. Ganz davon abgesehen, dass die Frauen in Russland für die gleiche Tätigkeit wie ein Mann nur ein Drittel seines Gehalts bekommen, da dieser staatlich als Hauptverdiener angesehen wird.
1b) Ablauf meines typischen Arbeitstages
Der Schulunterricht in Russland fängt im Allgemeinen um neun statt um acht Uhr an. An meiner Schule begann dieser aber eine halbe Stunde später. Dies hängt einerseits sicherlich damit zusammen, dass die Kinder einen weiten Anreiseweg hatten, andererseits aber auch damit, dass das Denken der Kinder sich morgens erst langsam in Bewegung setzte. Dementsprechend diskutiert man mittlerweile auch in Deutschland über einen späteren Schulbeginn.
8:30 Aufstehen und Frühstück in der Cafeteria
9:00 Kinder mit einer Glocke wecken und beim Anziehen, Bettmachen und Zähneputzen helfen.
9:30 Die Schulglocke ruft die Kinder in die Klassenräume: Aufpassen, dass sich keiner der Schüler vor dem Unterricht versteckt oder unerlaubt raucht.
10:00 Ich suche die Direktorin Frau Wladimirowna Junina auf und gebe ihr Deutsch-Nachhilfe. Die Schüler haben währenddessen ihr Frühstück von 10:10 bis 10:30 eingenommen und haben dann weiter den normalen Unterricht.
12:00 Ich kann mir meine Zeit bis 13:50 selbst einteilen. Meistens nehme ich am Sportunterricht der Schüler in dieser Zeit teil. Es wird Basketball, Fußball oder Skilaufen unternommen. Des Weiteren kann ich aber auch zum Bastel- Unterricht gehen und dort zu Hand gehen. Um 13:10 ziehe ich mich auf mein Zimmer zurück und entspanne mich.
13:50 Es gibt Mittagsessen. Ich muss mit der Lehrerin darauf achten, dass die Kinde sich in einer gemeinsamen Reihe zu dem Essraum bewegen und das es zu keinen Schlägereien zwischen den Kindern kommt. Händewaschen und Essenverteilen gehören zu den Aufgaben der Schüler und muss die ganze Zeit beaufsichtigt werden. Wenn die Kinder mit dem Essen fertig sind und sie unruhig werden, muss man ihnen vermitteln, dass sie auf die anderen warten müssen bevor sie sich erheben dürfen. Danach müssen sie ihr Geschirr wegräumen und sich laut für das Essen bedanken. Zum Schluss geht es wieder in einer geschlossenen Reihe zurück zum Klassenraum.
15:25 Spätestens um diese Zeit endet der Schulunterricht und meine richtige Tätigkeit trifft in Kraft. Nach einer halben Stunde Ruhe auf dem Schulhof, begeben wir uns in die Schulklasse. Dort müssen die Schüler ihre Hausaufgaben machen und ich betreute sie dabei. Im Konkreten heißt es dann Lesen, Rechnen und Schreiben üben. Hin und wieder mussten Gedichte oder Theaterrollen eingeübt werden.
18:00 Um diese Zeit sind die Kinder mit ihren Hausaufgaben fertig und können selbst bestimmen wie sie ihre Zeit verbringen wollen. Da es jedoch mit mir zusammen nur vier Erzieher auf etwa 50 Schüler sind und die Kinder deswegen nicht ständig beobachtet werden können, muss man sie beschäftigen. Während ihrer freien Zeit versuchte ich ihren sozialen Umgang zu fördern und spielte mit ihnen Fußball oder faltete Origami.
19:00 Abendbrot mit den schon oben erwähnten Benimmregeln. Danach Aufteilung der Kinder in verschiedene Hilfstätigkeiten wie Bodenwischen, Flurreinigung und Küchendienst.
19:45 Letzte Möglichkeit etwas zu spielen oder einfach nur fernzusehen.
20:30 Die Klasse wird gemeinsam aufgeräumt, Staub geputzt und Boden gewischt. Danach wird der Raum abgeschlossen und ein Spaziergang, bevor es anschließend zu den Schlafunterkünften geht, gemacht.
21:00 Nachtschichtwechsel und Bettfertigmachen der Kinder. Dies erweist sich meistens als das schwierigste Unternehmen, da die Kinder ungern schlafen wollen und stark aufgedreht sind.
22:00 Obwohl manche Kinder noch wach waren, war mein Dienst nun zu ende.
1c) Betriebsklima und Umgangsformen der Arbeitskollegen untereinander
Teamwork ist das wichtigste bei der Betreuung von sozial gestörten Kindern. Jeder einzelne Lehrer und Erzieher muss über alle Vorkommnisse gleich informiert werden, damit er angemessen auf den jeweiligen Schüler reagieren kann und das Erziehungsprogramm funktioniert. Gleichzeitig ist es auch ein Schutz für Erzieher, denn das Kind richtet seine Wut nicht gegen eine einzige Person sondern muss sich vor allen Erwachsenen behaupten. Die Kinder müssen von allen Aufsichtspersonen gleich konsequent behandelt werden. Um einen so klaren und individuellen Plan erarbeiten zu können, bedarf es unter den Erziehungspersonen einer selbstverständlichen Ehrlichkeit. Zusätzlich muss man sich gegenseitig zuhören und in der Lage sein, Kompromisse eingehen zu können. Darüber hinaus bedarf es in einer so rauen Wirklichkeit des Öfteren Beistand und tröstende Worte. Dies alles fand ich in einem sehr inspirierenden und unterstützenden Team und konnte mich deswegen gut in dieses einfinden. Dadurch war das Betriebsklima familiär und äußerte sich positiv auf die Schüler und auf mich aus.
2a) Der Besuch bei den alten Damen
Mein zweiter Praktikumsplatz bildete den genauen Gegenpol zu dem ersten. Ich kümmerte mich um ältere, vereinsamte, enttäuschte und meist schon verwirrte Menschen. Meist waren es alte Frauen, da die Sterberate in Russland bei Frauen um etwa 76 Jahre und bei Männern um ca. 53 Jahre liegt. Die Begründung ist einfach und furchtbar zugleich: Viele Probleme des Landes werden in der Bevölkerung vorwiegend im Alkohol „ertränkt“. Lebt man in Missständen, so will man es vergessen; hat man kein Geld für Medizin, so muss man sich betäuben; hat man keine Arbeit, so muss man sich Mut und Selbstvertrauen „antrinken“. Dieser Droge verfallen meistens Männer und erschaffen dadurch weitere kaum lösbare Probleme, wie extreme Gewaltbereitschaft, Impotenz, frühes Sterben und Arbeitslosigkeit. So ist es nicht verwunderlich, dass ich in meiner gesamten Zeit außer alten Frauen, nur zwei alte Männer zu verpflegen hatte.
Das Alter der Frauen liegt zwischen 70 und 90 Jahren und sie bekommen im Durchschnitt etwa 3500 Rubel (etwa 110 Euro) Rente im Monat ausgezahlt. Früher hat man im Kommunismus nach etwa 10 bis 15 Jahren Arbeit automatisch eine Wohnung zugewiesen bekommen, aus diesem Grund haben viele alte Frauen ein eigenes Apartment. Dann gibt es noch einige der Damen, die während des Krieges entweder hohes Führungspersonal waren und/ oder verletzt wurden und deswegen zusätzlich Geld bekommen.
Einen speziellen Fall bildet die Medikamentenhilfe. Obwohl den Meisten eine Summe von 500 Rubel (etwa 16 Euro) im Monat zusteht, können die wenigsten dieses Geld dafür nutzen. Dies liegt zum einen daran, dass gute Medikamente in Russland sehr teuer sind (das Geld reicht meistens nicht aus) und sonst viel Billiges, jedoch Unbrauchbares angeboten wird (die Nebenwirkungen sind meistens verheerend), zum anderem daran, dass man diese Hilfe jeden Monat neu beantragen muss und die Alten nicht in der Lage sind, es selbst zu tun. Um 9:00 Uhr morgens müsste man sich in eine riesige Warteschlange stellen und etwa fünf Stunden warten bis man an der Reihe wäre, um diese Genehmigung zu bekommen. Kaum ein Mensch in dem hohen Alter kann solche Strapazen auf sich nehmen. Manchmal tun in schwierigen Fällen dies die Sozialarbeiter selbst, jedoch werden sie dafür nicht bezahlt und machen es freiwillig in ihrer Freizeit. Ansonsten kann man sich auch ein Rezept für die Medikamente beim Arzt abholen, was jedoch fast nie geschieht. Die Apotheker wollen nämlich sich ihr Geschäft nicht kaputt machen lassen und geben die guten Medikamente ungern heraus, obwohl dies eigentlich staatlich verboten ist. Wenn sie Probleme durch staatliche Prüfungsbehörden bekommen sollten, bestechen sie diese lieber mit etwas Geld oder Medikamenten an wichtigen Stellen „und schon hat sich das Problem wie von alleine gelöst“. Der Staat ist oft genauso korrupt, wie die Erpresser auf der Strasse, weswegen sich die meisten Menschen mit Problemen nicht an den Staat richten.
Fast alle Alte leben nur noch alleine, da entweder der Krieg oder eine Krankheit ihren Verwandten das Leben gekostet hat. Die wenigen haben noch Kinder oder Verwandte für die sie bereit sind ihr Kleinbisschen Hab und Gut auszugeben. Die alten suchen eine Person, mit der sie über ihre Lebenserfahrung oder über die „schönen“ Zeiten des Kommunismus sprechen möchten. Nicht selten endet es in grausamen Beschreibungen des Krieges, des Elends, des Seins und zum Schluss in großen Tränen. Aufgrund dieses Grundbedürfnisses, sich mitteilen zu wollen, versuchen die Sozialarbeiter ihnen entgegen zu kommen.
Die meisten leben isoliert außerhalb der Städte. Sie haben ihr Leben in armen Verhältnissen an einem Hof verbracht und können nichts mit der Schnell Lebigkeit der Städte und dem Lärm anfangen. Dabei könnten sich für alle viele weite Wege und Unannehmlichkeiten ersparen lassen. Die Wohnungen in den Städten haben meistens fließend Wasser, einen Heizkessel und nicht weit entfernte Lebensmittelgeschäfte. Außerdem sind die Lebenserhaltungskosten auf dem Land teuerer und schwerer zu bewältigen, da öfters noch Holz gehackt und Wasser aus einem weit entfernten Brunnen geholt werden muss.
2b) Ablauf eines typischen Arbeitstages
8:00 Aufstehen, Essen und Elektrobahn Richtung Gatschina nehmen.
9:30 Eintreffen in der Hauptstelle, Teetrinken zum Aufwärmen und auf eine Sozialarbeiterin warten.
10:00 Aufbruch zu einem Markt und in Geschäfte, um billige Ware einzukaufen. Gegebenenfalls bei der Apotheke vorbeigehen und Medikamente holen.
11:00 Besuch bei einer älteren Frau, die früher als Wächterin bzw. Hausmeisterin gearbeitet hat und 12 Jahre arbeiten musste, um diese Wohnung zu kriegen. Es wird Buchführung betrieben, während ich mich mit der Frau unterhalte. Die Einkäufe werden sofort verrechnet und für das nächste Mal besprochen. Die Wäsche zum waschen wird eingepackt und alles ordentlich notiert und unterschrieben. Gegebenenfalls wird kurz gefegt oder beim Essenkochen geholfen.
11:30 Es wird der Weg zur nächsten Person eingeschlagen. Wieder werden Einkäufe getätigt und meine Arme tun langsam von der schweren Last weh.
12:30 Besuch einer 71 Jahre alten ehemaligen Lehrerin der Mathematik. Sie bekommt etwa 3500 Rubel im Monat, bekommt zwar 50% Rabat auf die Wohnung, muss aber 1000 Rubel alleine für Medikamente, aufgrund von Herzbeschwerden und Asthma ausgeben. Um Geld zu sparen, strikt sie Socken und versucht, diese zu verkaufen. Außerdem heizt sie ihre Wohnung nicht und friert deshalb ständig. Es erfolgt die Abrechnung nach dem gleichem Schema wie zuvor und wir verlassen wieder schnell die Wohnung.
13:00 Mittagessen und kurze Pause
14:00 Wir fahren mit dem Bus zu alten Menschen außerhalb der Stadt. Auf dem Weg zur Bushaltestelle kaufen wir wieder eine Menge zu Essen ein. Ich frage mich, wie es diese selbst schon ältere Sozialarbeiterinnen schaffen, so eine Last normalerweise alleine zu schleppen. Wir haben fünf Kilo Kartoffeln, eine große Menge an Kohl und Karotten dabei, zusätzlich haben wir Medikamente und drei Liter Milch.
15:00 Wir treffen bei einer sehr verwirrten und verwahrlosten Frau ein. Sie ist leicht nervös, schnell gereizt und aggressiv. Zwar hat sie zwei Söhne, doch sie hat sich mit ihnen vollkommen Verstritten. Dabei ist sie mittlerweile kurz davor zu sterben und hat sich schon öfters versucht durch Medikamente das Leben zu nehmen. Sie kann sich kaum bewegen und liegt in ihren eigenen Exkrementen, da sie den Eimer neben ihrem Bett nicht treffen konnte. Wir heben sie an und tragen sie in die Wanne, nachdem wir diese mit Wasser aus einem Brunnen gefüllt und mit einer Heizspirale erwärmt haben. Langsam kommen ihre „Lebensgeister“ wieder und sie fängt an, zu weinen und beschimpft den Krieg und den elenden Hunger. Sie wird wahrscheinlich schon bald sterben und irgendwann von einer Sozialarbeiterin gefunden werden. Ich habe große Gewissensbisse, eine Person in so einem schlechtem Zustand wieder verlassen zu müssen.
16:00 Wir gehen durch ein altes Dorf zu unserer letzten Dame. Überall sind streunende und bissige Hunde, die ein großes Interesse an unseren Taschen haben. Aus solchen Gründen muss sich eine Sozialarbeiterin immer ein Pfefferspray kaufen. An vielen Ecken sieht man Alkoholiker betrunken reden.
16:30 Ein großes Anwesen, bestehend aus einem großem Haus, einer Scheune und einem großen Garten mit eigenem Brunnen wird von einer einzigen alten Frau bewohnt. Sie ist 86 Jahre alt und bekommt, da sie eine Kriegschirurgin war, 9000 Rubel (285 €) im Monat. Ihr Sohn ist schon früh verstorben und ihr Mann vor etwa 10 Jahren. Ihr gehört noch eine eigene Wohnung in der Stadt mit Heizung und fließend Wasser, doch sie will dort nicht leben, da alle ihre Erinnerungen an diesem Haus hängen und sie nicht weit vom Grab ihres Mannes wohnt. Ich habe aus der Scheune und dem Brunnen Kohle, Holz und Wasser geholt. Für das Holzhacken und Kohleschaufeln werden im Frühjahr Alkoholiker bestellt, die für etwas Geld diese Tätigkeiten gerne erfüllen. Der Staat übernimmt die Kosten für diese existenziellen Güter nicht und ohne diese billige Arbeitskraft könnte sich kaum jemand sonst diese Güter leisten.
17:30 Ende meiner Tätigkeiten und die Rückfahrt ins Internat.
Zusammenfassende Beurteilung
Das Praktikum in Russland ermöglichte mir neben einem Einblick in die Arbeitsweise und den Alltag einiger sozialer Strukturen vor allem auch, nachdem ich seit 16 Jahren nicht mehr in Russland gewesen bin, das erneute Kennen lernen der russischen Kultur mit allen seinen Gepflogenheiten, seiner Andersartigkeit und seiner großen Gastfreundlichkeit.
Neben der Verbesserung meiner Sprachkenntnisse, förderte dieser Auslandsaufenthalt meine Selbstständigkeit und das wissenschaftlich-analytische Interesse an anderen Kulturen. Ein wichtiges Ziel war es, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Denken, Begründen und Handeln der Russen und der Deutschen zu ergründen. Da ich seit 6 Jahren im sozialen Bereich in Deutschland arbeite, glaube ich stark an den Einfluss sozialer Strukturen auf den Menschen. Durch meine Erlebnisse in Russland bestärkt, kann ich nicht mehr von einer Anthropologie des Menschen ausgehen. Ein Mensch ist somit von Natur aus weder gut noch böse, sondern ein Produkt seiner sozialen Umstände und der erlernten Fähigkeit zur Reflektion. Zwar besitzt jeder Mensch meiner Meinung nach einen freien Willen und ist somit für sein Handeln verantwortlich, doch habe ich in Russland die Hilflosigkeit und das Elend höher bewerten gelernt. Deshalb kann ich keinen Menschen mehr so leicht, wie vorher für sein Handeln verurteilen. Ich finde es viel wichtiger, dass die Menschen lernen, sich zuzuhören und zu verstehen, anstatt vorschnell zu bewerten.
Während meines Praktikums konnte ich kaum Kenntnisse des bisherigen politik-wissenschaftlichen Studiums anwenden. Ich hatte jedoch einen geschärften Blick für das funktionieren von politischen und sozialen Strukturen. Meine Erlebnisse in Russland haben mich und mein Verständnis von der Aufgabe der Politik verändert und sensibilisiert. In soweit habe ich einen großen Nutzen für mich und mein Studium erworben. Mittlerweile kann ich mir einen Beruf im politisch- sozialen Bereich zwischen Deutschland und Russland gut vorstellen.
Insgesamt dürfte durch die kompakte Darstellung meines Praktikums deutlich geworden sein, dass Russland einen Nachholbedarf in der sozialen Versorgung, Medizin, Korruptionsbekämpfung und vielen mehr hat. Das Land scheint diesen Rückstand nachholen zu wollen. Viele Ärzte, Manager, Lehrer, usw. verfolgen mit großem Interesse Neuerungen und suchen Kontakte über die Grenzen hinaus. Das Angebot und der Standard an allgemeinen Gütern steigt rasch an, so dass es in Russland heutzutage alles, was man auch im Westen kennt, zu kaufen gibt. Diese Güter sind jedoch für die normale Bevölkerung nicht erreichbar, weil diese privat finanziert werden müssen, zu sehr hohen Preisen. Die Preise für Medizin sind etwa gleich wie im Westen, der durch-
schnittliche Verdienst liegt aber bei etwa 2000 – 3000 Rubel im Monat, was etwa 100 Euro entspricht. Die Lebenserhaltungskosten im Vergleich zum Lohn sind sehr hoch.
Das Gesundheitssystem versorgt lediglich Privatpatienten und die staatlichen Kliniken wie das Personal sind unterbezahlt. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in Russland enorm. Anders als in Ostdeutschland kam es in Russland nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Planwirtschaft zu einer freieren und kapitalistischen marktwirtschaftlichen Entwicklung mit all seinen Problemen, die nicht wie bei uns durch einen gefestigten „Partner West“ aufgefangen und in Bahnen gelenkt werden konnten. Zusätzlich gibt es noch weitere wichtige Faktoren, die das Land schon immer langsamer entwickeln ließen, dies wären der kaum überschaubarer Lebensraum und eine Vielzahl an internationalen Bevölkerungsgruppen, die stark verstreut leben. Aufgrund dessen wird es wohl erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen, bis diese Umbruchphase in einer Stabilisierung des Landes mündet.
2а) Посещение пожилых дам
Второе место, на котором проходила моя практика, представляло собой полярную противоположность первому. Я заботился о пожилых, одиноких, разочарованных и в большинстве своем уже плохо соображающих людях. Чаще всего это были старые женщины, поскольку продолжительность жизни в России у женщин около 76 лет, а у мужчин – 53 года. Причина этого столь же проста, сколь и ужасна: все проблемы в этой стране „заливают алкоголем“. Живущие в неудовлетворительных условиях хотят об этом забыть; когда не хватает денег на медицинское обслуживание, то пытаются себя одурманить; если нет работы, то выпивают „для куража“. Многие мужчины прибегают к этому наркотику, обрекая себя на еще более сложные проблемы: стремление к насилию, импотенцию, безработицу и раннюю смерть. Так что не удивительно, что за все время своей работы я должен был обслуживать помимо старых женщин всего двух стариков.
Возраст женщин составляет от 70 до 90 лет и они получают месячную пенсию в среднем 3500 рублей (примерно 110 евро). Во времена коммунизма после приблизительно 10-15 лет работы человеку автоматически предоставляли квартиру, по этой причине многие пожилые женщины имели собственную квартиру. Кроме того было несколько несколько дам, которые во время войны занимали руководящие должности и/или имели ренения, и по этой причине получают теперь доплату к пенсии.
Особый случай представляет собой снабжение лекарствами. Несмотря на то, что большинство ежемесячно получает для их приобритения дополнительную сумму в 500 рублей (примерно 16 евро), ее не хватает на удовлетворение даже минимальных потребностей. С одной стороны причиной этого является то, что хорошие лекарства в России очень дороги (в большинстве случаев денег на них не хватает), все же прочие стоят значительно дешевле, но они совершенно непригодны и обладают разрушителными побочными действиями, а с другой стороны для получения этого пособия нужно ежемесячно заново подавать заявку, чего пожилые люди не в состоянии делать самостоятельно. Чтобы получить соответствующее разрешение нужно в 9 часов утра вставать в очередь и ждать в ней по пять часов. Почти никто из пожилых людей не в состоянии взять на себя такую нагрузку. Иногда, в самых тяжелых случаях, это делают сами социальные работники, но им за это не платят, и они делают это добровольно в свое свободное время.
В других случаях можно приобрести лекарства, получив рецепт у врача, что, однако, редко удается сделать. Это происходит потому, что владельцы аптек не хотят терпеть убыток и неохотно выдают бесплатно хорошие лекарства, несмотря на то, что это запрещено законом. Им удобнее решать проблемы с государственной проверкой качества лекарств, давая взятки или снабжая лекарствами ответственных лиц, причем проблемы тут же „сами собой решаются“. Государство зачастую также коррумпировано, как и уличные рэкетиры, поэтому большинство людей не обращается со своими проблемами в государственные органы.
Почти все пожилые люди живут одни, поскольку лишились своих близких вследствие войны и болезней. У немногих из них есть еще дети или родственники, готовые поделиться с ними своим достатком. Старики ищут того, с кем они могли бы поделиться своим жизненным опытом или поговорить о „прекрасных“ коммунистических временах. Это нередко выливается в ужасные описания войны, бедствий, тяжелого существования и в конце концов – в рыдания. В удовлетворении их потребности излить свою душу социальные работники стараются идти им навстречу.
Большинство стариков живет изолированно вне города. Свою жизнь они прожили в бедности на одном и том же дворе, и уже не могут существовать в суете и городском шуме. В городе они могли бы избавиться от необходимости ездить на большие расстояния и от прочих неприятностей. В городских квартирах есть водопровод и отопление, продуктовые магазины расположены неподалеку. Кроме того в деревне более дорогая и тяжелая жизнь, нужно часто колоть дрова и носить воду из расположенного в отдалении колодца.
2b) Расписание типичного рабочего дня
8:00 Подъем, завтрак и поездка в Гатчину на электричке.
9:30 Прибытие на место, чай, чтобы согреться, и ожидание социальной работницы.
10:00 Посещение рынка и магазинов для покупки дешевых товаров. Посещение по дороге аптеки и приобретение лекарств.
11:00 Посещение пожилой женщины, которая раньше проработала 12 лет охранником или коммендантом, чтобы получить свою квартиру. В разговоре с женщиной я отчитываюсь о расходах и получаю задание сделать покупки к следующему разу. Упаковываю белье в старку, при этом все старательно записываю. При необходимости немного прибираю и помогаю в готовке.
11:30 Направляюсь к следующему лицу. Снова делаю покупки, и мои руки начинают понемногу ныть от тяжести.
12:30 Посещение 71-летней бывшей учительницы математики. Она получает месячную пенсию 3500 рублей, и несмотря на то, что у нее 50%-ная скидка на квартплату, 1000 рублей в месяц уходит только на лекарства из-за тяжелого сердечного заболевания и астмы. Чтобы подработать, она вяжет носки и пытается их продать. Кроме того она не отапливает свою квартиру и постоянно мерзнет. Я отчитываюсь в расходах по той же схеме и быстро покидаю квартиру.
13:00 Обед и короткий перерыв
14:00 Мы едем на автобусе к пожилым людям, живущим за городом. По пути от автобусной остановки мы снова покупаем кучу продуктов. Я спрашиваю себя, как же могут социальные работницы таскать такой груз в одиночку. У нас пять килограмм картофеля и к тому же огромное количество капусты и моркови. Кроме того у нас лекарства и три литра молока.
15:00 Мы приходим к не вполне нормальной и запущенной женщине. Она слегка нервничает, быстро раздражается и становится агрессивной. Несмотря на то, что у нее двое сыновей, она с ними совсем рассорилась. Кроме того она уже часто совершала попытки самоубийства, используя различные медикаменты. Она едва может двигаться и лежит в собственных экскрементах, так как не может достать горшок, который стоит рядом с ее кроватью. Наполнив ванну водой из колодца и нагрев ее с помощью кипятильника, мы сажаем в нее эту женщину. Постепенно к ней возвращаются жизненные силы, и она начинает плакать и проклинать войну и голод. Она, по-видимому, скоро умрет, и когда-нибудь социальная работница найдет ее труп. Когда я оставляю человека в подобном состоянии, то чувствую сильные угрызения совести.
16:00 Мы идем вдоль старой деревни к нашей последней даме, повсюду бродят злые собаки, проявляющие огромный интерес к нашим сумкам. Поэтому социальной работнице постоянно приходится покупать перечный распылитель. Там и сям можно видеть беседующих пьяниц.
16:30 В большом подворье, состоящем из большого дома, сарая и большого сада с колодцем живет одинокая старая дама. Ей 86 лет, и она получает ежемесячно как бывший военный хирург 9000 рублей (285 евро). Ее сын рано умер, а ее муж умер 10 лет назад. У нее есть в городе собственная квартира с водопроводом и отоплением, но она не хочет в ней жить, поскольку с деревенским домом у нее связано множество воспоминаний, а неподалеку находится могила ее мужа. Я беру в сарае уголь и дрова и приношу воду из колодца. Для того, чтобы нарубить дров и засыпать уголь, в начале года приглашали алкашей, которые охотно выполняют за деньги эту работу. Государство эти жизненно необходимые вещи не оплачивает, и если бы не дешевая рабочая сила, вряд ли кто-нибудь взялся оказывать подобные услуги.
17:30 Моя работа закончена, и я возвращаюсь в интернат.
Подведение итогов
Помимо того, что практика в России позволила мне ознакомиться с характером работы и повседневностью социальной структуры, после 16-летнего отсутствия я получил новые знания о культуре России с ее обычаями, непохожестью на другие страны и огромным гостеприимством.
Помимо усовершенствования моих языковых навыков это пребывание за рубежом стало поддержкой для моей самостоятельной деятельности и усилило стремление к научно-аналитическому постижению других культур. Одной из важных целей этой практики было установление различий и сходства в мышлении, мотивации и действиях русских и немцев. Поскольку я уже в течение 6 лет работаю в Германии в социальной области, я твердо верю во влияние социальных структур на людей. После того, что я узнал на собственном опыте в России, я уже не могу исходить только из антропологии людей. По своей собственной природе человек не может быть ни добрым, ни злым, но он является продуктом собственных социальных обстоятельств и заложенной в нем способности к размышлениям. Несмотря на то, что по моему мнению каждый человек обладает свободной волей и при этом несет ответственность за свои действия, в России я научился более внимательно относится к людской нужде и беспомощности. Поэтому я уже не могу с прежней легкостью осуждать людей за их действия. Я считаю, что вместо вынесения опрометчивых оценок значительно важнее научиться прислушиваться к людям и пытаться их понять.
В процеесе моей практики у меня почти не было возможности обращаться к результатам предыдущих научно-политических исследований. Но я сосредоточился на изучении функционирования политических и социальных струтур. То, что мне довелось узнать в России, существенно изменило и обострило мое понимание задач политики. Это принесло большую пользу и мне, и моему образованию. Теперь я себе уже хорошо представляю профессию на стыке социологии и политики применительно к взаимоотношениям Германии и России.
В целом, из моего сжатого сообщения о практике должно быть ясно, что для России необходимо как можно скорее наверстывать отставание в областях социального обеспечения, медицины, борьбы с коррупцией и во многих других. Создается впечатление, что страна стремится нагнать это отставание. Многие врачи, управленцы, учителя и другие с интересам следят за новшествами и пытаются наладить контакты с зарубежными коллегами. Предложение и качество товаров общего назначения быстро возрастает, так что в настоящее время в Росси можно купить все то же, что и на Западе. Но эти товары недоступны для обычного населения из-за слишком высоких цен. Цены на лекарства примерно те же, что и на Западе, зарплата же составлет в среднем 2000-3000 рублей в месяц, что соответствует примерно 100 евро. Стоимость жизни по сравнению с зарплатой слишком высока.
Система здравоохранения обслуживает исключительно частных пациентов и государственные клиники, персонал которых получает слишком маленькую зарплату. В России существует огромная пропасть между богатыми и бедными. В отличие от Восточной Германии после крушения плановой социалистической экономики в России стали развиваться рыночные капиталистические отношения со всеми присущими им проблемами, которые не мог смягчить и направить в нужное русло сильный „западный партнер“, как это было у нас. Существуют и другие причины того, что страна все еще развивается недостаточно быстрыми темпами. К ним относятся необозримое жизненное пространство и большое количество многочисленных и сильно рассеянных национальных групп. По этой причине имеет смысл уделять решению этих проблем значительно больше времени до тех пор, пока переходный период не сменится стабильным развитием страны.