20 Jahre DRG

Ihren 20. Geburtstag fei­erte die Deutsch-Russische Gesellschaft (DRG) Ettlingen bei einem Festakt in der Buhlschen Mühle. Dabei wurde ihr Gründer und langjähriger Vorsitzender, Rüdiger Dier­kesmann, zum Ehrenmitglied ernannt. Um­rahmt wurde der festliche Abend durch das Saxophon-Duo Isa Amelie Peterson und Va­lentin Braun von der Musikschule Ettlingen. Den Schlusspunkt setzte das Kostümtheater „Katjuscha“ aus der russischen Partnerstadt Gatschina.

Vorsitzender Gerhard Laier erinnerte in seinen Grußworten daran, dass Rüdiger Dierkesmann zur Zeit der Wende vor 20 Jah­ren die Deutsch-Russische Gesellschaft ins Leben gerufen hat. Auf diesem Fundament wurde dann die Partnerschaft mit Gatschina aufgebaut, die Urkunde unterzeichnete 1992 Oberbürgermeister Josef Offele.

Die Geschichte der Deutsch-Russischen Gesellschaft in Ettlingen stellte Wolfgang Lorch bei seinem Rückblick in einen breiten geschichtlichen Kontext und zeigte Verbin­dungen zwischen der Region Karlsruhe und dem russischen Zarenhof auf, wobei in diesen Bezügen immer wieder der Name Gatschina auftauchte.

Die Ettlinger Partnerschaft mit Gatschina gehe auf einen Antrag der SPD-Fraktion zu­rück, mit einer Stadt in der damaligen UdSSR eine Partnerschaft einzugehen. Ziel­vorgabe sei gewesen, eine historisch gewach­sene Stadt in der Nähe von Moskau oder Le­ningrad zu finden. Gefunden wurde Gatschi­na, das damals aber noch militärische Sperr­zone war. Zur Partnerschaft war eine Geneh­migung aus Moskau notwendig.

Parallel dazu gründete Rüdiger Dierkes­mann mit 70 Ettlingem die Deutsch-Russi­sche Gesellschaft, in Gatschina bildete sich eine Parallel-Organisation. Ein Markstein war 1989 mit der Bereitstellung von über 85 000 Mark für eine Milchküche in der russischen Stadt. 1990 fuhr der erste Konvoi mit 13 Tonnen Lebensmitteln nach Gatschina, dem weitere mit steigenden Frachtzahlen folgten. „Auf der 20-jährigen Strecke des gu­ten Willens wurde Eindrucksvolles geleis­tet“, so Lorch. Der neue Vorsitzende Gerhard Laier habe die Aktivitätspalette erweitert und vorangetrieben.

Natascha Dorochowa, die Vorsitzende der Russisch-Deutschen-Gesellschaft aus Gat­schina, nannte die Gründung der Deutsch- Russischen Gesellschaft und ihren 20. Ge­burtstag ein gutes Beispiel für Völkerverständigung. Ausdrücklich dankte sie für die Ettlinger Hilfe in den 90er Jahren und sprach die Hoffnung aus, dass die Freundschaft wei­ter so bleibe.

Freundschaften scheiterten oft an großen Distanzen oder Sprachbarrieren, sagte Ett­lingens Oberbürgermeisterin Gabriela Büssemaker. Beides sei bei der Deutsch-Russi­schen Gesellschaft kein Hindernis gewesen, mit deren Gründung auch der Grundstein für die Partnerschaft mit der 2 500 Kilometer entfernten Stadt Gatschina gelegt wurde. Dabei erinnerte die OB an Schüleraustauschprogramme und den Lauf nach Gatschina, der den Teilnehmern ein intensives Kennenlernen von Land und Leuten ermöglichte.

 

Festvortrag zum 20-Jährigen Bestehen der DEUTSCH-RUSSISCHEN GESELLSCHAFT ETTLINGEN Wolfgang Lorch am 30.10.2009 in der Buhlschen Mühle in Ettlingen

Wissen Sie eigentlich, dass Wladimir Uljanow-genannt Lenin- am 9. April 1917 im plombierten Zug auf dem Karlsruher Hauptbahnhof für mehrere Stunden verweilte, ehe der Zug – von Zürich kommend, von Deutschland organisiert- weiterfuhr und Lenin über Skandinavien nach Petersburg brachte, wo dann die Revolutionsflut 1917 einsetzte, die letztlich die Sowjetunion gebar? 

Will sagen, in diesem Zug wurde eine politische Wasserstoffbombe transportiert, die als russische Revolution 1917 explodierte.

Das hat in der Folge etwas mit der heutigen Veranstaltung zu tun!

Meine Damen und Herren!

Jeder Mensch hat etwas, was ihn antreibt, ansonsten säßen Sie nicht zu dieser Stunde in diesem Raume, ansonsten vollbrächten Sie nicht Ihr fortlaufendes Tagewerk.

Und der Grund für diesen Abend, er bedurfte des Antriebs gewiss.

Fang ich an dieser Ecke an.

Sagte der alte Grieche Demokrit im 4. Jahrhundert v. Chr. zwei treffende Sätze:

Der eine Satz:

„Ein Leben ohne Feste ist wie ein langer Weg ohne Einkehr.“

Eben, drum Einkehr heute Abend, also ein Leben mit Fest, bei dem sogar 17 russische Bürgerinnen und Bürger anwesend sind.

Seien Sie besonders herzlich willkommen in Ettlingen.

Der andere Satz von Demokrit:                                

„Alles geschieht aus einer Ursache und mit Notwendigkeit.“

Die Ursache zu der heutigen Bezüglichkeit?

Da war eine gute Geschichte und da war eine böse Geschichte, hoffend, dass es fortan eine gute Geschichte bleibe, eingebunden ein Wort von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker:

„Wer aus der Vergangenheit nichts lernt, wird blind für die Zukunft, und wir brauchen die Hoffnung für morgen.“

„Alles geschieht aus einer Ursache und mit Notwendigkeit,“ sagte jener Demokrit.

Mit Notwendigkeit?

Ja, da musste eine Not gewendet werden und diese muss – um sie zu verstehen- in den Strom der Zeitläufe eingepasst werden, zumindest diese streifend.

Zunächst die böse Geschichte:

Zwei Weltkriege im 20. Jahrhundert, zweimal die Riesen gegeneinander: Deutschland und Russland, Deutschland und die Sowjetunion.

Zwei Riesen im machtpolitischen Ringen gegeneinander. Besser und plastisch anschaulicher könnte es gar nicht dargestellt werden, als am Antikriegsdenkmal von O.A. Kiefer am Ettlinger Rathausturm.

Zwei Riesen-sich sinnlos raufend und niederkämpfend- umgarnt von einer feisten Schlange mit dem Apfel im Maul- die Verführung zum Bösen symbolisierend, also hin zur unersättlichen Machtgier.

Und dabei erbat -welche Blasphemie- jede Seite inbrünstig den lieben Gott um Beistand. Wie musste es der schwer haben, sich für eine Seite zu entscheiden. Man lese nur mal die Kriegspredigten aus dem 1. Weltkrieg.

Und was brachte dieses infernalische Gegeneinander:

11 Millionen Tote im 1. Weltkrieg

55 Millionen Tote im 2. Weltkrieg, 25 Millionen Tote allein für die Sowjetunion.

Wie sagte Adolf Hitler am 22. Juni 1941, am Angriffstag auf die Sowjetunion?

„Deutsche Soldaten! Das Schicksal des Deutschen Reiches, das Dasein unseres Volkes liegen alleine in Eurer Hand. Möge uns in diesem Kampf der Herrgott helfen!“

In der Ettlinger Zeitung stand an diesem 22. Juni:

„Die Rote Armee wird das deutsche Schwert zu spüren bekommen.“

Schon im Hoßbach-Protokoll 1937 sagte Hitler seinen Generälen:

„Die deutsche Zukunft ist ausschließlich durch die Lösung der Raumnot bedingt. Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben.“ Und bereits in Hitlers „Mein Kampf“ von 1925 steht der Satz:

„Wenn wir in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland denken.“

Dann rollte am 22. Juni 1941 der Wahnsinn gegen die Sowjetunion an – verbrannte Erde Tag für Tag.

Wie sagte Friedrich Schiller, der in Russland am meisten verehrte deutsche Dichter: „Der schrecklichste der Schrecken ist der Mensch in seinem Wahn.“

So steht es in Schillers „Glocke“. Die kennen russische Schüler heute besser als deutsche.

Und zu diesem Wahn gehörte u.a. auch Leningrad dem Erdboden gleichzumachen, sollte es erobert werden, dirigiert vom Wehrmachtshauptquartier im Schloss von Gatschina.

In 900 Tagen Belagerung Leningrads kamen ebenda rund 1 Million Menschen um.

Und Boris Tropkin und Anatoli Olschanko – zwei russische Kriegsgefangene in Ettlingen – sie wurden im Gefängnis in der Sternengasse grausam zu Tode gefoltert. Sie liegen draußen auf dem Friedhof, etliche andere dabei. Was hatten die für Gefühle hier in der Sternengasse?

Welche Gedanken an die Familie zu Hause? Eine Hölle im persönlichen Weltuntergang in Ettlingen!

Dann -1945- kamen völlig abgewrackt viele Menschen aus Ostpreußen und aus Schlesien auch in unsere Stadt Ettlingen, furchtbare Erlebnisse durch die Rote Armee hinter sich.

Richtig, Schillers Wort aus seinem Wallenstein – er hat in wenigen Tagen seinen 250. Geburtstag – ist wahrhaftig:

„Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie fortzeugend immer Böses muss gebären.“ Und ich sprach von der bösen Geschichte!

A propos Schiller: Als im April 1945 sowjetische Soldaten im Häuserkampf durch das von Alliierten schon zerbombte Königsberg stürmten, klebte ein sowjetischer Soldat an das Schillerdenkmal einen Zettel mit der Aufschrift: „Das ist ein großer Dichter.“ Es blieb stehen wie das Denkmal von Immanuel Kant.

Und die gute Geschichte?

Nun, das war eben schon ein guter Augenblick im bösen Umfeld.

Einige Streifen noch zur guten Geschichte:

Die Zarin Katharina die Große – selbst eine deutsche Prinzessin – sie war auf Brautschau für ihren geliebten Enkel Alexander. Ihre Wahl fiel auf Prinzessin Luise vom Karlsruher Hof – 14 Jahre alt, hübsch, graziös, blondes Haar, blaue Augen. Schon ihr ungeliebter Sohn Paul hatte ja eine deutsche Prinzessin gefreit – Sophie Dorothee von Württemberg, nachmalige Zarin Maria Fedorovna.

Wichtig aber für uns ist, dass Luise aus Karlsruhe, die 1793 im Petersburger Winterpalais -prächtigst zelebriert – mit Alexander vermählt wurde. Nach dem Tod seines Vaters Paul 1801 wurde Großfürst Alexander zum Zaren aller Russen und Luise als Elisabeth Alexejewna Zarin.

Als solche veranlasste sie ihren Mann Alexander I., sich kräftig für den Erhalt Badens auf dem Wiener Kongress 1815 und dem Aachener Kongress 1818 einzusetzen, denn unser Baden sollte auseinander geschnitten werden.

Alexander, der seine badische Schwiegermama – Markgräfin Amalie in Karlsruhe – liebte, tat, was gewünscht.

Ansonsten sängen wir heute das Badnerlied nicht. Eine gute Geschichte doch! Übrigens: Alexanders Schwester Maria Pawlowna – sie heiratete den Erbprinzen von Sachsen-Weimar – Carl Friedrich. Sie wurde die Mutter der Prinzessin Augusta, nachmals Frau von Kaiser Wilhelm I. In Baden-Baden schaut ihre Büste liebevoll vom Sockel der Lichtentaler Allee. Und Zarin Elisabeth selbst – mit ihrem Gatten Alexander auch in Baden-Baden gewesen – ist als Bronzeskulptur beim Bismarck-Denkmal zu finden.

Noch dies: Als Maria Pawlowna 1804 nach Weimar kam, verfasste Friedrich Schiller auf Bitten Goethes ein großes Willkommensgedicht. Auch das sei erwähnt.

Und noch hinzu:

Schillers berühmte Flucht von Stuttgart nach Mannheim aus dem Bannkreis seines absolutistischen Herzogs Karl Eugen war übrigens deshalb möglich am 22. September 1782, weil gerade ein Riesenfest auf dem Schloss Solitude inszeniert wurde zum Empfang vom Großfürsten Paul und Maria Fedorovna, ausgerichtet als Feuerwerk von Schillers Vater Johann Caspar. Der Sohn nutzte das berauschende Durcheinander! Und eben von Mannheim aus spielte Schiller 1782 sogar mit dem Gedanken, nach Petersburg zu gehen.

Ohnehin, kein anderer deutscher Dichter hat die russische Kultur so geprägt wie Schiller.

Und wie sagte der russische Lyriker Jewtuschenko?:

„In Russland zählt jeder Dichter doppelt.“

Viele Werke Schillers wurden in Petersburg, in Moskau, in anderen Städten, so auch in Gatschina aufgeführt, dort 1887 z.B. „Don Carlos“ (1. Aufzug).

Und wie heißt sein letztes unvollendetes Drama: “Demetrius“. Auch Russland wollte er ein Drama schenken. Eine gute Geschichte doch!

Und die berühmte Dannecker-Büste Schillers – sie steht im Schloss Gatschina, neben anderen Dannecker Skulpturen.

Auch das: Die Dramen Schillers waren die Lieblingslektüre von Zar Alexander I. und

Zarin Elisabeth, jener Luise aus Karlsruhe.

Auch dies: Der große russische Schriftsteller Dostojewski – er überschlug sich vor Begeisterung für Schiller. Einmal schrieb er:

„Ich laufe auf den Dachboden, werfe meinen Morgenrock über die Schulter, schlage den Schiller auf und träume mit ihm.“

Ich sprach von der guten Geschichte, die noch viele Marksteine hat, ob Bismarcks Rückversicherungsvertrag 1887;ob der Rapallo-Vertrag von 1922, der Berliner Freundschaftsvertrag von 1926.                  [

Schließlich nach so vielen Verwerfungen im 20. Jahrhundert, kam die Endzeit dessen, was alle in der 2. Hälfte satt hatten, dessen Ende alle erhofften, nämlich die Kälte des kalten Krieges zwischen Ost und West, wo jede Seite die 20-fache Overkill-Kapazität hatte.

Es war die Zeit des Tauwetters. Ein Mann namens Michael Gorbatschow – seit 1985 Generalsekretär der KPdSU – brachte den Tauwind mit den Begrifflichkeiten Glasnost und Perestroika.

Und dieser Tauwind, er blies vieles hinweg, was in 45 Jahren an Weltuntergangsgefahr aufgebaut worden war.

Der Tauwind gebar neue politische Landschaften, veränderte Landkarten und Systeme eingedenk des Gorbatschowschen Wortes:

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Wenn das SED-Regime die Demokratisierung des Systems in der DDR zugelassen hätte, eine Wiedervereinigung hätte es wohl nicht gegeben. Es wäre bei dem Ruf geblieben: „Wir sind das Volk“, nicht mehr „Wir sind ein Volk“.

Aber vor Tagen gedachten wir des 9. November vor 20 Jahren, da die Mauer in Berlin

– und der Eiserne Vorhang fielen, gedachten am 3. Oktober des 19. Jahres der Wiedervereinigung.

In diese angerissene Gemengelage hinein im Strudel der Geschichte passte der Antrag der SPD-Fraktion vom 11. November 1989 mit einer Stadt in der Sowjetunion eine Partnerschaft einzugehen.

Wie sagte Heinrich Heine:

„Der Gedanke geht der Tat voraus.“

Und das war ein guter Gedanke!

In der öffentlichen Gemeinderatssitzung vom 14. Dezember 1988 wurde einstimmig beschlossen:

Der Gemeinderat der Stadt Ettlingen beabsichtigt grundsätzlich, eine Städtepartnerschaft mit einer Stadt in der Sowjetunion zu gründen.

Der Oberbürgermeister erhält Auftrag, eine Arbeitsgruppe mit sachkundigen Bürgern zu bilden, die ein entsprechendes Papier für das Vorhaben erarbeitet.

Zuvor hatte Oberbürgermeister Offele noch Stadtrat Dr. Dierkesmann das Wort zur

Begründung des Antrags erteilt.

Dierkesmann sagte:

„Seit den 50er Jahren haben die meisten Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik Partnerschaften mit Gegnern aus dem letzten Krieg gegründet. Hierdurch sollte der bundespolitisch gewollte und von der Bevölkerung getragene Aussöhnungsprozess auf allen Ebenen gefördert werden.

Niemand bezweifelt mehr, dass diese Partnerschaften entscheidend dazu beigetragen haben, über Jahrhundert gewachsene Vorurteile – insbesondere gegenüber Franzosen und Engländern – in erstaunlich kurzer Zeit abzubauen.

Aus bekannten Gründen waren Städtepartnerschaften mit der Sowjetunion in der Vergangenheit, wenn nicht unmöglich, so doch zumindest äußerst beschwerlich. Die politische „Großwetterlage“ hat sich unübersehbar in den letzten Jahren entscheidend gewandelt. Die Zeit scheint reif, die Politik der Bundesregierung gegenüber der Sowjetunion durch intensivere Kontakte zwischen den Bürgern beider Länder zu unterstützen.“

Als wichtige Kriterien wurden vorgegeben:

möglichst Nahbereich von Leningrad oder Moskau, da diese per Flugzeug zu erreichen sind, also kein Ort in der russischen Steppe!

vergleichbare Strukturen und Größe.

eine historisch gewachsene Stadt, keine Retortenstadt aus der Stalinzeit.

Damit geriet etwas in Bewegung – Bewegung aber braucht Beweger.

Eine Partnerfindungsgruppe unter Leitung von Dr. Dierkesmann machte sich 1989 mit einem Sichtungsauftrag des Gemeinderates auf den Weg. Nach Inaugenscheinnahme zweier anderer Gemeinden im Leningrader Umfeld – es waren Puschkin und Pavlovsk – wurde man in Gatschina fündig, eine Kleinstadt, die den genannten Kriterien entsprach. Gesagt, getan!                                                                        ,

So einfach war es aber nicht, denn Gatschina war militärische Sperrzone. Aber ein 10-Dollar Schein an einen Taxifahrer machte die Fahrt zum Rathaus möglich. Dort war man völlig überfordert. Moskau war zuständig, wo nach umständlichen Verfahren schließlich in der Tauwetterperiode eine Einwilligung erreicht werden konnte.

Freilich die eigentliche Gründung der Städtepartnerschaft, die zog sich noch etwas hin, bedingt durch die völlig anderen administrativen Verhältnisse, bedingt auch durch die Verwerfungen der Umbruchzeit.

Aber die Idee war geboren, die Basisbeschlüsse gefasst, die ersten Schritte getan. Und zu diesem euphorischen Fluss der Anfangsaktivitäten gehörte auch die am 29. Januar 1989 erfolgte Gründung der „Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft mit 70 Gründungsmitgliedern, ob der sich abzuzeichnenden Auflösung der Sowjetunion am 13. Juli 1990 umbenannt in „Deutsch-Russische Gesellschaft“.

Wie heißt es bei Hermann Hesse?:

„Allem Anfang wohnt ein Zauber inne.“

So war es auch hier.

Der 1. Vorsitzende, Dr. Dierkesmann, formulierte in einem Interview auf die Frage, welche Rolle die Deutsch-Russische Gesellschaft beim Städtepartnerschaftsprojekt spiele:

„Wenn Sie so wollen, wir treiben die Partnerschaft voran.“ Und die DRG trieb sie voran.

Auf der anderen Seite, eben in Gatschina, hatte sich die mittreibende Parallelorganisation gebildet, die Russisch-Deutsche Gesellschaft. Deren Vorsitzender – Viktor Schutilov – formulierte: „Eine solche Partnerschaft öffnet Wege zum Frieden in Europa und zum gegenseitigen Verständnis der Menschen.“ Und Ettlingen betreffend sagte er: „Von ganzem Herzen bin ich verliebt in diese Stadt.“

Eine Fülle von Aktivitäten setzte ein, von großem Enthusiasmus begleitet, mitgetragen von einer eindrucksvollen Spendenfreudigkeit der Bevölkerung und von Firmen. Schon 1990 traten 13 Tonnen Lebensmittel im Wert von 30.000 DM den Weg nach Gatschina an. 1991 waren 2 Großlaster für humanitäre Hilfe unterwegs, dazu noch ein Luftbrückentransport.

1992 wurden gar 50 Tonnen Lebensmittel auf 6 Lastwagen nach Gatschina gebracht.

Vier Tage war man für die 2.400 km auf der Straße, eingeschlossen erhebliche Grenzüberschreitungsschwierigkeiten. Kurzerhand wurden zwei uniformierte Polizisten engagiert, gleichsam als Eskorte. Als Dank im Nachhinein nach Ettlingen eingeladen, sagten sie hier: „Ettlingen ist wie ein Märchen.“

1992 war dann auch das Jahr, in dem die von unten so intensiv mit Herz und Hand betriebene Partnerschaft – das auch vor dem Hintergrund einer hohen Spendenbereitschaft der Bevölkerung – offiziell verbrieft worden ist.

Die öffentliche feierliche Unterzeichnung der Städtepartnerschaft fand zweimal statt, einmal am 12. Juni in Gatschina und danach am 3. Oktober – dem Tag der deutschen Einheit- im Asamsaal des Ettlinger Schlosses. Dabei hob Stanislav Bogdanov hervor, dass die Städtepartnerschaft auf viele Bereiche ausgedehnt werden müsse, von persönlichen Begegnungen über Vereine, Kultur, Sport, Bildung, Wirtschaft, Verwaltung und anderes mehr.

Und so geschah es auch: Eine Kaskade von Aktionen und Aktivitäten hin und her füllte die Aufbruchsjahre, die an Zahl und Inhalt hier gar nicht aufzählbar sind, viele mitgetragen oder angestoßen von der DRG, dann von einer Vielzahl anderer Handlungsträger eigendynamisch bewegt.

Zum Beleg sei noch erwähnt die humanitäre Großaktion 1995, diese auch gesehen im Blick auf eine Momentaufnahme eines BNN-Reporters (J.C. Weis):

„Vor dem Geschäft steht eine Schlange von Menschen. Alle wollen nur ein Brot. Bei Temperaturen von 16 Grad minus warten sie geduldig auf die Ausgabe von Brot.“ 1995 wurden 40t Lebensmittel und 20t Kleidung nach Gatschina gebracht, dazu 3t Medikamente und 800 Decken, 1.000 Handtücher und 50 Krankenbetten.

Hier hatte die Aktionsgemeinschaft „Die Polizei hilft“ Gewaltiges geleistet, und sie bringt sich bis heute – gerade im Sozialen – hervorragend ein.

Und andere Ebenen und Handlungsträger?

Musikschule, Wilhelm-Röpke Schule, Albertus-Magnus Gymnasium, Chöre, Kunstausstellungen, ESV, TSC-Sibylla, SC 88 Bruchhausen, Stafettenlauf, Schachturnier, Marktfest, Weihnachtsmarkt, Behindertenprojekt DARINA, Seniorenbeirat, Ettlinger Firmen, Gymnasium Karlsbad, Deutsches Rotes Kreuz Ettlingen – alles Brückenpfeiler der Partnerschaft. Dabei habe ich nun sicher noch einiges vergessen.

Überhaupt, was in dieser von unten entwickelten völkerverbindenden Freundschaft mit schöpferischem Engagement und Organisationsfähigkeit erbracht wird, ist ein gewaltiges ehrenamtliches Gemeinschaftswerk und als solches eigentlich ein Gegenbeispiel zu einer gestrigen Presseüberschrift, die da lautete:

„Der Zusammenhalt in der Gesellschaft nimmt ab.“

Zu solchen Wirken und Bewirken braucht man Menschen mit Impetus und Einsatzfreude!

Wie sagte Altbundespräsident Johannes Rau:

„Was wir brauchen, ist der Mörtel, der das Haus zusammenhält, damit es die Stürme übersteht.

Wie viele verdiente Personen müssten eigentlich genannt werden!

Ich habe in meinen Unterlagen rund 40 hochverdiente Namensträger, die ich ursprünglich nennen wollte – deutsche und russische Namen, mit der Gefahr freilich, dann doch jemanden zu vergessen.

Darum fühle sich ein jeder hier geehrt an diesem Abend, der sich in diese gute Geschichte, diese gute Gegenwart und eine hoffentlich gute Zukunft eingebracht hat bzw. einbringen wird.

Herauszuheben vielleicht noch wenige Marksteine:

1994 übergab Oberbürgermeister J. Offele in Gatschina namens des Gemeinderates 85.000 DM für eine Milchküche im dortigen Krankenhaus und für eine Kleinkinderversorgung, ergänzt mit 30.000 DM von der DRG.

Zum 50 jährigen Gedenken an den 2. Weltkrieg fand 1995 im Schloss Ettlingen ein bemerkenswerter Gedenkakt statt, wobei auch zwei russische Zeitzeugen der Belagerung von Leningrad berichteten.

2006 betreute die DRG zwei von der Stadt eingeladene ehemalige Zwangsarbeiter aus der UdSSR.

Das waren bewegende Tage.

Zum 15-jährigen Bestehen der Partnerschaft beider Städte wurde in Ettlingen der Gatschina-Park eingeweiht. Dabei wurden auch 3 Birken gepflanzt, pro 5 Jahre eine.

Zurück zur DRG:

Auf der 20-jährigen Strecke des guten Willens, der Impulse und guten Taten wurde Eindrucksvolles geleistet. Freilich – auch das sei offen gesagt – es gab auch Durststrecken und es war Menschliches und Allzumenschliches immer wieder unterwegs, in Ettlingen und in Gatschina.

Seit 2002 hat die DRG nun einen neuen Vorsitzenden – fast hätte ich ob seines Einsatzes gesagt, die DRG hat eine ständig unter Dampf stehende Lokomotive: Gerhard Laier. Er hat die Aktivitätspalette erweitert, verdichtet und viele Vernetzungen und Kooperationen vorangetrieben, so z.B. mit dem Bund Deutscher-West-Ost- Gesellschaften, mit der Baden-Württemberischen West-Ost-Gesellschaft und mit der Stiftung „Erinnerung-Verantwortung-Zukunft.“

Hier gerade ist ein Wort von Carlo Schmidt gut angelegt:

„Völker, die sich erinnern, gehen nicht zugrunde, auch wenn die Geschichte sie misshandelt.“

Hervorzuheben ist betont die Kooperation mit der Eberhard-Schöck-Stiftung zur Förderung des Handwerks u.a. in Osteuropa.

„In Bereitschaft sein ist alles“, heißt es im „Hamlet“ von W. Shahespeare.

Hier wird es zielführend praktiziert.

Wir sehen: Organisation, Ideen und Impulse, Willenskraft und praktizierte Einsatzfreude – sie treiben das gute Werk voran.

Gerhard Laier ist mit seinen Mitstreitern ein Treibender, das mit Herzblut und Freude an der Sache.

Bei ihm finde ich ein Philosophenwort inkarniert:

„Wer entzünden will, muss selber brennen.“

Lieber Gerhard: Bleib weiter in Flamme!

Es lebe die Deutsch-Russische Gesellschaft!

Es lebe die Deutsch-Russische Freundschaft!

Nach oben scrollen